Die momentane Situation der Eurozone erinnert in vielerlei Hinsicht an die 1930er Jahre. Nur sind die Rollen vertauscht. Heute ist Deutschland dasjenige Land, das von Frankreich rigorose Sparmassnahmen verlangt. Damals war es Frankreich, das die Deutschen belehrte und ihnen Verschwendung vorwarf.
Als Ende März 1930 die Grosse Koalition unter dem sozialdemokratischen Kanzler Hermann Müller zerbracht, kommentierte zum Beispiel die konservative Zeitung Le Figaro:
Es sind keine unüberwindbaren materiellen Schwierigkeiten, die das Ende der Grossen Koalition provoziert haben. Gewiss, das Budget ist schwer, das Defizit beunruhigend. Doch mit Energie wäre es möglich, die schwere, aber keineswegs verzweifelte Situation zu heilen. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste man indessen ein äusserst striktes Sparprogramm auflegen, vor allem bei den Sozialversicherungen, die ein Fass ohne Boden geworden sind. Nur wollen die Sozialisten nichts vom Sparen hören.
Grund für die deutsche Schwäche in den frühen 1930er Jahren war die starke Auslandsverschuldung. Sie bestand zur Hälfte aus Bankkrediten und zur Hälfte aus den Reparationen, die Deutschland als Kompensation für die Kriegsschäden zahlen musste. Diese Summen waren in Dollar oder in Gold denominiert, d.h. eine Abwertung der Reichsmark zur Ankurbelung der Konjunktur hätte den Schuldenberg nur noch höher gemacht.
Zu Beginn der 1930er Jahre betrug die deutsche Auslandsverschuldung fast hundert Prozent. Ein beträchtlicher Teil war zudem kurzfristig, was dazu führte, dass die Anleger sofort Geld abzogen, wenn die politische Situation sich zuspitzte. Aussenminister Stresemann erklärte im November 1928, als die Wirtschaft noch gut lief:
Das Ausland überschätzt Deutschlands Leistungsfähigkeit. Deutschland macht einen falschen Eindruck des Wohlstandes. Die Wirtschaftslage ist nur scheinbar eine glänzende. Tatsächlich tanzt Deutschland auf einem Vulkan. Wenn die Kündigung kurzfristiger Kredite erfolgt, kann es einen Zusammenbruch eines grossen Teils der deutschen Wirtschaft geben.
Also blieb nur eins: Sparprogramme und "interne Abwertung".
Die Sparmassnahmen führten dazu, dass sich die ökonomische Krise verschärfte und die radikalen Parteien Aufwind bekamen. Wegen der Reparationen fiel es ihnen leicht, einen Zusammenhang zwischen der Krise und dem ausländischen Diktat herzustellen. Teilweise hatten sie sogar recht: Wenn die Alliierten die Reparationen rechtzeitig gestrichen hätten, hätte Deutschland etwas mehr Raum für eine antizyklische Wirtschaftspolitik in der Krise gehabt.
Eine andere Möglichkeit, Deutschland zu helfen, wäre es gewesen, wenn Frankreich langfristige Kredite gewährt hätte. Dazu wäre Paris durchaus in der Lage gewesen, denn anders als Deutschland war Frankreich 1930 von der Depression noch nicht betroffen. Die französische Wirtschaft befand sich in guter Verfassung, und die Banken waren gut kapitalisiert.
Die französische Regierung sah aber nicht ein, warum sie den Deutschen entgegenkommen sollte. Es bestand die Angst, dass Konzessionen dazu führen würden, dass Deutschland schneller wieder erstarken und Frankreich bedrohen würde. So verständlich diese Angst aus französischer Sicht war, sie machte die deutsche ökonomische Krise nur noch schlimmer. Bei der Reichstagswahl im September 1930 legte die NSDAP erstmals stark zu, wie die Grafik zeigt.
(Quelle: Deutsches Historisches Museum Berlin)
Spätestens jetzt hätte Frankreich der deutschen Regierung entgegenkommen müssen. Es war offensichtlich, dass die Verbindung von ökonomischer Krise und politischer Radikalisierung immer schlimmer wurde. Aber es geschah nichts, bis es zu spät war.
So kam es, wie es kommen musste. Im Sommer 1931 brach in Deutschland eine Banken-, Staatsschulden- und Währungskrise aus, welche die ganze Weltwirtschaft mit sich nach unten riss. Die wirtschaftliche Lage Deutschlands wurde dadurch noch schlimmer, was die Regierung zu neuerlichen Sparmassnahmen zwang. Bei der Reichstagswahl im Juli 1932 wurde die NSDAP die stärkste Partei, und der Rest ist Geschichte.
Der Front National ist nicht mit der NSDAP gleichzusetzen. Aber sein rascher Aufstieg in den letzten Jahren zeigt, dass die Eurokrise immer mehr politischen Schaden anrichtet. Gemäss einer neuen Umfrage würde Marine Le Pen heute die Präsidentschaftswahlen gewinnen (hier).