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Wann hat Amerika Europa überholt?

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Zuschauer eines Ryder-Cup-Turniers in Oakland. (Keystone/Paul Sancya)

Kontinentaler Konkurrenzkampf: Zuschauer eines Ryder-Cup-Turniers in Oakland. (Keystone / Paul Sancya)

Nach einer vorübergehenden Flaute hat die Erforschung des Lebensstandards in jüngster Zeit einen grossen Aufschwung erlebt. Vor allem ist es nun besser möglich, die verschiedenen Kontinente miteinander zu vergleichen.

Besonders brisant ist die Frage, wann Amerika Europa überholt hat. Dieser Vorgang markierte nicht nur eine historische Zäsur, sondern ist auch relevant für die Diskussion über die Zukunft Chinas. Ist das Verhältnis von China zu Amerika im 21. Jahrhundert vergleichbar mit dem Verhältnis von Amerika und Europa in früheren Jahrhunderten?

Zur Beantwortung der Frage hat man sich bisher auf die Daten von Angus Maddison gestützt. Danach kann man davon ausgehen, dass der Stabwechsel zwischen 1850 und 1880 stattgefunden hat. Hier die Daten der drei grössten europäischen Volkswirtschaften und der USA. 1910 war die amerikanische Wirtschaft bereits grösser als die deutsche und die britische zusammen.

GDP Levels        
(in million of 1990 International Geary-Khamis dollar)    
1820 1850 1880 1910
France 35’468 58’039 82’792 122’238
Germany 26’819 48’178 86’626 210’513
United Kingdom 36’232 63’342 120’395 207’098
       
United States 12’548 42’583 160’656 460’471
         
Quelle: Maddison.

Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man das Pro-Kopf-Einkommen vergleicht. Der Wechsel kommt etwas später, aber immer noch vor dem Ersten Weltkrieg:

Per Capita GDP        
(in 1990 International Geary-Khamis dollar)    
1820 1850 1880 1910
France 1’135 1’597 2’120 2’965
Germany 1’077 1’428 1’991 3’348
United Kingdom 1’706 2’330 3’477 4’611
         
United States 1’257 1’806 3’184 4’964
Quelle: Maddison.

Demnach hat also die industrielle Revolution den Briten einen Vorsprung des Lebensstandards gebracht, der fast ein Jahrhundert anhielt. Nur gegenüber Deutschland und Frankreich waren die Menschen in den USA bereits übers ganze 19. Jahrhundert wohlhabender.

Neue Daten stellen diese Sicht nun fundamental infrage (Quelle).

Demnach waren die Amerikaner schon immer reicher als die Briten, trotz des Vorsprungs durch die industrielle Revolution.

Im 18. und 19. Jahrhundert war die Kaufkraft jenseits des Atlantiks eineinhalbmal höher als auf den Britischen Inseln. (Abweichungen von 1800 und 1870 sind kriegsbedingt: Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) / Napoleonische Kriege / Krieg von 1812 und amerikanischer Bürgerkrieg (1861–65).)

Und besonders bemerkenswert ist, dass dieses Verhältnis auch im 20. Jahrhundert mehr oder weniger bestand. (Abweichungen sind wiederum kriegsbedingt.)

Frappante Unterschiede ergeben auch neue Daten zur Ungleichheit in den USA und Grossbritannien. Demnach war die Ungleichheit im 18. Jahrhundert im nordamerikanischen Kolonialgebiet viel geringer als im britischen Mutterland oder in Holland / den Niederlanden. Erst in der Zeit, als die US-Wirtschaft nach 1850 zur grössten der Welt wird, gleicht sich die Entwicklung der Ungleichheit an.

Was lassen sich daraus für Schlüsse ziehen? Wohl vor allem der folgende: Der Vergleich des amerikanischen Aufstiegs der Vergangenheit mit demjenigen Chinas in der Gegenwart ist vollkommen schief. Die Vereinigten Staaten waren nie ein armes Entwicklungsland, das von einer Oberschicht dirigiert wurde. Im Gegenteil:

  1. Der Lebensstandard war schon immer hoch im Verhältnis zu Europa.
  2. Traditionell herrschte in Nordamerika mehr Gleichheit als in Europa, offenbar nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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