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Channel: Tobias Straumann – Never Mind the Markets
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Exodus statt Exit

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Supporters of the No vote wave Greek flags after the referendum's exit polls at Syntagma square in Athens, Sunday, July 5, 2015. Greece faced an uncharted future as officials counted the results of a referendum Sunday on whether to accept creditors' demands for more austerity in exchange for rescue loans, with three opinion polls showing a tight race with a narrow victory likely for the "no" side. (AP Photo/Petros Giannakouris)

Damals gab es noch Hoffnung: Griechen nach dem Oxi-Referendum am 5. Juli 2015. Foto: Keystone

Vor einem Jahr stand Griechenland kurz vor dem Austritt aus der Währungsunion. Im letzten Moment aber schreckte Premierminister Tsipras zurück. Das wichtigste Argument gegen den Austritt war, dass alles nur noch schlimmer werden würde.

Ich fand das Argument immer schwach. Wieso soll bei Griechenland nicht funktionieren, was bei Dutzenden von Schwellenländern funktioniert hat? Finanzkrisen lassen sich nur durch Schuldenschnitt und Abwertung überwinden. Je schneller, desto besser.

Des Weiteren ist mir nie klar geworden, warum man nach dem Scheitern der bisherigen Krisenpolitik immer noch das Gefühl hat, dieselben Fehler weiter begehen zu müssen. Griechenland hat in den letzten Jahren eine Kontraktion erlebt, die an die 1930er-Jahre erinnert. Ich bin immer davon ausgegangen, dass eine solch verfehlte Wirtschaftspolitik in Europa im 21. Jahrhundert nicht mehr möglich sei. Eine Fehlannahme.

Die Grafik zeigt das Ausmass der Wirtschaftskrise. Das reale BIP ging zwischen dem dritten Quartal 2009 und dem vierten Quartal 2013 um etwa ein Viertel zurück. Griechenland ist 2015 immer noch auf dem Niveau des Jahres 2000.

fredgraph

Das Resultat des Festhaltens am Bisherigen: Die griechische Wirtschaft kommt nicht vom Fleck, die Arbeitslosigkeit bleibt unverändert hoch, die Mittelschicht ist verarmt, viele haben keinen Zugang mehr zum Gesundheitssystem, die Innenpolitik ist blockiert.

Die logische Folge wird sein, dass die gut ausgebildeten Jungen auswandern und Griechenland noch strukturschwächer wird. Erste Anzeichen gibt es bereits. Seit 2010 sind fast eine halbe Million Menschen ausgewandert, wie die griechische Zentralbank unlängst ausgerechnet hat (Quelle). Griechenland hat rund 11 Millionen Einwohner. Gemäss Zentralbank befinden sich unter den Emigranten überdurchschnittlich viele Gutausgebildete, z. B. Ärzte und Ingenieure.

Dies unterscheidet die heutige Auswanderungswelle von derjenigen der 1960er- und 1970er-Jahre. Damals sind etwa eine Million Griechen nach Belgien und Deutschland ausgewandert, um in der Industrie zu arbeiten.

Griechenland mag ein Extrembeispiel sein, aber es ist keine Ausnahme. Überall in Südeuropa beobachten wir einen Exodus der Gutausgebildeten. Es war abzusehen: Eine Währungsunion, die keine fiskalischen Ausgleichsmechanismen kennt, führt zu einer Verschärfung der Gegensätze zwischen den starken und den schwachen Ländern.

Wie daraus ein «gemeinsames europäisches Haus» entstehen soll, ist unklarer denn je.

Der Beitrag Exodus statt Exit erschien zuerst auf Never Mind the Markets.


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