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Channel: Tobias Straumann – Never Mind the Markets
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«Da können wir auch nichts machen»

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Plädiert für bessere Verteilung der Globalisierungsgewinne: David Lipton. Foto: Yuri Gripas (Reuters)

Es ist erstaunlich, wie fundamental sich der wirtschaftspolitische Diskurs in der Schweiz verändert hat. Galt die Personenfreizügigkeit noch vor fünf Jahren als unverrückbarer Pfeiler, gehört es heute zum guten Ton, Massnahmen zur sozialen Abfederung der Einwanderung anzumahnen.

Ein grosser Meinungswandel ist auch in Europa festzustellen. Herrschte beim Ausbruch der Eurokrise noch die Zuversicht, die EU werde das Problem bald in den Griff bekommen, spürt man heute nur noch Ratlosigkeit. Die Währungsunion hat jeglichen Zauber verloren. Der soziale Flurschaden ist unübersehbar geworden.

Selbst die internationalen Institutionen schlagen neue Töne an. Kürzlich forderte David Lipton, der Stellvertreter von Christine Lagarde, Massnahmen zur besseren Verteilung der Globalisierungsgewinne. Auch am WEF in Davos wird man vermutlich oft solche Plädoyers hören.

Verlierer müssen entschädigt werden

Der Einbezug der sozialen Folgen der Wirtschaftspolitik kommt keinen Moment zu spät. Denn wer sich nur ein bisschen mit der Geschichte der Globalisierung auskennt, weiss, dass die Verlierer entschädigt werden müssen, wenn man keine politische Revolte riskieren will. Ebenso klar ist, dass nach grossen Öffnungsschritten immer wieder Bremsmanöver ergriffen werden müssen, wenn man die Unterstützung für die Globalisierung insgesamt sichern will.

Eines der besten Beispiele, das diese historische Erfahrung illustriert, ist die Einwanderungspolitik der Überseeländer im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Auf den ersten Blick würde man nicht vermuten, dass die bereits Eingewanderten darauf pochten, die Hürden für die zukünftigen Einwanderer zu erhöhen. Nordamerika und Lateinamerika waren zu jener Zeit nicht dicht besiedelt. Es gab viel Platz für Neuankömmlinge.

Doch genau dies passierte. Die Einwanderungshürden wurden schrittweise erhöht, als die Einwanderungsraten ab den 1880er-Jahren stark anstiegen. Die Grafik zeigt, wie schnell die Einwanderungspolitik restriktiver wurde.

Die Frage der Demokratie

Doch so erfreulich die allgemeine Anerkennung der Schattenseiten der Globalisierung auch ist, die neue Formel greift immer noch zu kurz, wenn sie die wachsende Opposition gegen die etablierten Parteien stoppen soll. Sie ist viel zu technokratisch und blendet die Machtfrage aus.

Die Unzufriedenheit richtet sich ja nicht nur gegen die ungleiche Verteilung der Globalisierungsgewinne, sondern auch gegen vermeintliche institutionelle Zwänge und die damit eingehergehende Entdemokratisierung.

Früher oder später werden die etablierten Parteien allerdings auch bei der Machtfrage nachgeben müssen – wie sie es schon in den 1960er und 1970er Jahren taten. Die Demokratie lässt ihnen keine andere Wahl.

Dass dieser Schritt nicht mehr weit weg ist, zeigt sich etwa daran, dass kaum mehr jemand offensiv die Europäische Währungsunion verteidigt. Selbst die offiziellen Vertreter geben bereitwillig zu, dass die institutionellen Mängel gravierend sind, und wimmeln einem nur noch mit folgendem Satz ab: „Da können wir auch nichts machen.»

Der Beitrag «Da können wir auch nichts machen» erschien zuerst auf Never Mind the Markets.


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