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Channel: Tobias Straumann – Never Mind the Markets
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Italien kommt nicht vom Fleck

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Die Wirtschaft stagniert: Baustelle in Rom. Foto: Alessia Pierdomenico (Getty)

Das Ergebnis der italienischen Wahlen ist alles andere als überraschend, wenn man die ökonomischen Daten betrachtet. Seit bald zwanzig Jahren kommt die Wirtschaft kaum vom Fleck. Auch die jüngste Konjunkturaufhellung in Europa ändert wenig an der italienischen Tristesse. Um die jahrelange Stagnation zu überwinden, wäre ein überdurchschnittliches Wachstum erforderlich. 2017 wuchs die Wirtschaft nicht einmal um zwei Prozent, wie die neusten Daten von Eurostat zeigen (Quelle).

Die folgenden beiden Grafiken dokumentieren das Ausmass der Stagnation. Sie zeigen die Entwicklung des realen BIP und des realen BIP pro Kopf. Letzterer Wert liegt immer noch unter dem Niveau von 2000. Man kann also durchaus von zwei verlorenen Jahrzehnten sprechen.

Was sind die Gründe für die italienische Schwäche? In der Regel gibt es bei einer Diskussion zwei Lager. Das erste Lager ist überzeugt, dass strukturelle Probleme entscheidend seien: unflexibler Arbeitsmarkt, starres Lohn- und Preissystem, dysfunktionales Bildungssystem, geringe private Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die veraltete Industriestruktur. Das zweite Lager betont die schädliche Rolle des Euro. Wie Griechenland sei Italien ein Verlierer der Währungsunion. Um seine preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren, müsste Italien eine deutlich schwächere Währung als heute haben.

Hohe Lohnstückkosten

Mir hat nie eingeleuchtet, warum sich die beiden Lager immer wieder heftige Rededuelle liefern. Oft geht es um eine fast schon religiöse Frage: Bist du für oder gegen den Euro?

Die Wahrheit ist doch, dass sich die beiden Sichtweisen gut ergänzen. Italien hat ohne Zweifel grosse strukturelle Probleme. Aber genau deswegen war der Beitritt zur Währungsunion ein kapitaler wirtschaftspolitischer Fehler. Nur wenn ein Land über eine hohe Flexibilität verfügt – wie zum Beispiel die baltischen Länder –, ist es in der Lage, den realen Wechselkurs über Lohn- und Preissenkungen zu schwächen. Wenn aber diese Flexibilität nicht gegeben ist, verschärft die Euromitgliedschaft die strukturellen Probleme.

So sind die Löhne in Italien seit Ausbruch der Eurokrise 2010 nicht gesunken. Damit sind auch die Lohnstückkosten gegenüber Deutschland nicht wesentlich zurückgegangen. Italien bleibt nach wie vor zu teuer im Verhältnis zu seiner wirtschaftlichen Produktivität.

Rekordhohe Staatsschulden

Wie weiter? Eine Möglichkeit wäre, aus der Währungsunion auszutreten. Dafür gibt es aber keine Mehrheit, weil die Angst vor dem Unbekannten grösser ist als die Mühsal mit den bestehenden Verhältnissen. Das ist gut zu verstehen. Ein Austritt birgt kurzfristig enorme Risiken. In Griechenland schreckte Tsipras 2015 genau aus diesem Grund vor einem Austritt zurück. Das machte ihn erpressbar, sodass er heute Vorlagen bringen muss, die das Demonstrations- und Streikrecht in Griechenland eindämmen. Mit linker Politik hat das nichts mehr zu tun.

Die andere Möglichkeit wäre eine grundlegende wirtschaftspolitische Reform. Doch dies ist genauso unrealistisch, mindestens in der kurzen Frist, denn die Veränderung des Bildungssystems oder die Erhöhung der privaten Ausgaben für Forschung und Entwicklung lassen sich nicht von einem auf den anderen Tag beschliessen und umsetzen.

Bleibt nur noch die Hoffnung, dass die EZB die Zinsen möglichst lange tiefhält, damit der Staat die steigenden Schulden bedienen kann. Mittlerweile befinden sich die Staatsschulden in Prozent des BIP auf einem Höchstand – höher als Mitte der 1990er-Jahre.

Wie schwierig die Lage Italiens geworden ist, lässt sich unter anderem daran ablesen, dass immer mehr Leute dem Land den Rücken kehren. Vielleicht wird die verbesserte konjunkturelle Situation die Auswanderungsrate etwas bremsen. Aber am Trend dürfte sich in den nächsten Jahren wenig ändern, wie eine Grafik der «Financial Times» zeigt (Quelle):

Der Aufstieg der Protestparteien war demnach nur eine Frage der Zeit. Sie werden aber auch wenig an den grundlegenden Problemen Italiens ändern können. Mit weiteren politischen Verwerfungen ist zu rechnen.

Der Beitrag Italien kommt nicht vom Fleck erschien zuerst auf Never Mind the Markets.


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