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Frühling der Sorglosigkeit

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Alles wieder gut? Nach der Übernahme schreibt ein Bear-Stearns-Angestellter eine Nachricht an seinen Ex-Chef James Cayne, New York, Mai 2008. Foto: Mark Lennihan (AP, Keystone)

Vor genau zehn Jahren trat die amerikanische Immobilienkrise in ihr kritisches Stadium ein. Im März 2008 kollabierte nämlich zum ersten Mal eine New Yorker Investmentbank, Bear Stearns. Zuvor waren nur Immobilienbanken, Hedgefonds und Investmentgesellschaften unter die Räder gekommen.

Die folgende Grafik zeigt den Fall von Bear Stearns im chronologischen Kontext. Nur vier Monate später folgt der Zusammenbruch einer anderen Investmentbank, Lehman Brothers.

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In Nachhinein sieht es so aus, als ob der Fall von Bear Stearns wie bei einem Domino die Kettenreaktion ausgelöst habe. Meine Erinnerung aber sagt mir, dass genau die gegenteilige Stimmung vorherrschte. Das beherzte und elegante Abwickeln von Bear Stearns durch eine konzertierte Aktion der amerikanischen Notenbank und der Grossbank J.P. Morgan Chase wurde als Beweis betrachtet, dass die Behörden und Finanzplatzvertreter die Gefahr erkannt hatten und über die Mittel verfügten, die schwelende Finanzkrise unter Kontrolle zu halten.

Allgemeine Beruhigung – vorerst

Diese positive Reaktion lässt sich auch am Börsenkurs, der in der obigen Grafik blau abgebildet ist, ablesen. Der S&P 500 begann nach der Abwicklungsaktion sofort zu steigen und tendierte während zweier Monate nach oben. Von März bis Mai gewann er etwa 10 Prozent.

Zur Beruhigung trug auch bei, dass die Probleme von Lehman Brothers allseits bekannt waren. Die Zeitungen brachten zahlreiche Artikel über den Zustand der Bank. Die meisten Beobachter gingen davon aus, dass früher oder später eine andere Grossbank Lehman Brothers zu einem günstigen Preis erwerben könne.

Das war ja auch tatsächlich der Plan. Aber weil kurzfristig auch Merrill Lynch in grosse Probleme geriet und sich mit der Bank of America einigte, fehlte im September 2008 eine Grossbank, die Lehman Brothers zu übernehmen bereit war. Als Folge davon wurde sie fallen gelassen, was die grosse Krise erst auslöste.

Zwei wichtige Erkenntnisse

Warum ist die Erinnerung an den sorglosen Frühling 2008 überhaupt relevant? Der Rückblick lohnt sich aus zwei Gründen:

  1. Finanzkrisen laufen nie gleichförmig ab. Es gibt immer wieder gegenläufige Tendenzen, dann wieder Beschleunigungsphasen.
  2. Die Tendenz zu allzu optimistischen Prognosen ist nicht nur vor einer Finanzkrise vorhanden, sondern auch während der Finanzkrise.

Der Fall von Bear Stearns ist deswegen genauso aufschlussreich wie der Fall von Lehman Brothers. Es ist nämlich durchaus möglich, dass weniger Sorglosigkeit nach der Abwicklung von Bear Stearns eine rechtzeitige Lösung für Lehman Brothers herbeigeführt hätte.

Timothy Geithner, der im Frühling 2008 Chef des New York Fed war und ab Januar Finanzminister, fand treffende Worte für die entscheidende Rolle von Fehleinschätzungen. In seiner Memoiren «Stress Test» (2013) schrieb er:

Our crisis, after all, was largely a failure of imagination. Every crisis is. For all my talk about tail risk, for all our concern about ‘froth’, we didn’t foresee how a nationwide decline in home prices could induce panic in the financial system sufficient to drag down the broader economy. But good crisis prevention does not depend on imagining the precise form of the unimaginable. You can’t expect to preempt surprises. You just have to recognize that surprises will come, and force the system to build stronger defenses that can help it withstand the extreme ones.

Daraus ergibt sich für die künftige Regulierung nur eine Folgerung: Krisen verhindern ist unmöglich, deshalb müssen wir uns auf die Eindämmung der negativen Folgen konzentrieren.

Der Beitrag Frühling der Sorglosigkeit erschien zuerst auf Never Mind the Markets.


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