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Im 14. Jahrhundert erlebte Florenz gleich mehrere Krisen. Flickr, Giuseppe Moscato
Es ist in letzter Zeit üblich geworden, die Geschichte der modernen Finanzkrisen mit der holländischen Tulpenmanie des 17. Jahrhunderts zu beginnen (hier ein aktuelles Beispiel). Damals setzte eine grosse Spekulation auf künftige Preise von Tulpen ein, die vom Mosaikvirus befallen und deshalb mehrfarbig waren. Bei der Kundschaft waren sie besonders beliebt. Als die Hausse nach drei Jahren zu Ende ging, verloren viele Anleger ihr Vermögen.
Doch so gut die Geschichte von der Tulpenmanie auch ist, sie eignet sich nicht als Einführung in die Geschichte der Finanzkrisen. Denn es ist nicht einmal sicher, ob man sie überhaupt als Finanzkrise bezeichnen kann. Der Ökonom Peter Garber verneint dies aufgrund von drei Kriterien:
- Die Krise hatte keine negativen realökonomischen Auswirkungen.
- Das Tulpengeschäft war immer mit starken Preisfluktuationen verbunden.
- Der historische Bericht stammt aus dem Jahr 1841 und ist unzuverlässig.
Die Historikerin Anne Goldar bestätigt den Befund, dass die Tulpenmanie kein aussergewöhnliches Ereignis war. Die Tulpenpreise seien zwar von 1634 bis 1637 stark gestiegen, aber längst nicht in dem Ausmass, wie es überliefert wurde. Es handelte sich vielmehr um eine normale Hausse.
Der zweite Grund, warum sich die Tulpenmanie nicht als Einstiegsepisode eignet, ist die Chronologie. Es gab bereits im Spätmittelalter Finanzkrisen im modernen Sinn. Am besten dokumentiert ist die Florentiner Krise des 14. Jahrhunderts. Damals ist Folgendes passiert:
- 1343 und 1346 gingen die grössten Florentiner Bankhäuser unter.
- 1345 ging die Stadt Florenz bankrott.
Zusätzlich ereigneten sich noch folgende Dinge:
- 1347 herrschte eine grosse Hungerkrise.
- 1348 rollte eine Pestwelle über die Stadt.
Viel schlimmer kann es eigentlich nicht mehr kommen. Die 1340er-Jahre waren vielleicht das deprimierendste Jahrzehnt in der Geschichte von Florenz.
Wie hängen diese Teilkrisen miteinander zusammen? Folgen wir der Analyse des italienischen Wirtschaftshistorikers Carlo M. Cipolla. Er schlägt folgende Reihenfolge vor:
- Florenz führte Krieg gegen die Nachbarsstadt Lucca und verschuldete sich deswegen über beide Ohren.
- Die angespannten Staatsfinanzen hatten zur Folge, dass die Stadt Florenz ab 1343 die Gläubiger nur noch teilweise ausbezahlte. Eine erste Welle von Bankinsolvenzen setzte sein.
- Hinzu kam, dass der englische König Edward III. wegen seines Krieges in Frankreich seine Zahlungen an die beiden grossen florentinischen Handels- und Bankhäuser Bardi und Peruzzi aussetzte, was diese 1343 bzw. 1346 in den Bankrott trieb. Beschleunigt wurde der Untergang dieser Firmen durch den Abzug der napoletanischen Depositen.
- 1345 verkündete die Stadt Florenz ein Zahlungsmoratorium. Ein Jahr später kam es deswegen zu einer zweiten Welle von Bankinsolvenzen. Die Finanzkrise schwappte daraufhin auf den Gewerbesektor über. Viele Firmen gingen konkurs. Die Wirtschaftskrise vertiefte sich. Erst einige Jahre später stabilisierte sich die politische und wirtschaftliche Lage wieder.
Klingt irgendwie vertraut, diese Verquickung von Staatsbankrott und Bankenkrisen mit all ihren internationalen Dimensionen. Plus ça change, plus c'est la même chose. Die Tulpenmanie ist im Vergleich dazu eine harmlose Geschichte.