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Wird Frankfurt vom Brexit profitieren?

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Der Finanzplatz London hat schon ganz andere Stürme überstanden: Fensterputzer in Canary Wharf. Foto: Kevin Coombs (Reuters)

Der Finanzplatz London hat schon ganz andere Stürme überstanden: Fensterputzer in Canary Wharf. Foto: Kevin Coombs (Reuters)

Die Brexit-Debatte hat viele Facetten. Im Kern geht es um Fragen der Souveränität und der Demokratie, aber wirtschaftliche Aspekte dürften die Entscheidung ebenfalls beeinflussen.

Es herrscht deswegen eine Art Krieg der Studien. Die meisten Untersuchungen kommen zum Schluss, dass Grossbritannien bei einem Brexit wirtschaftliche Einbussen erleiden wird. Vor allem der Finanzplatz London soll erheblich geschwächt werden (hier ein Beispiel). Der grosse Profiteur wäre Frankfurt.

Stimmt das wirklich? Wer die Geschichte der internationalen Finanzplätze kennt, kann nur staunen über diese gewagte Prognose. Denn London hat schon ganz andere Stürme überstanden als den Brexit.

Der Erste Weltkrieg, die Depression der Dreissigerjahre und der Zweite Weltkrieg haben Londons internationale Finanzgeschäfte zum Erliegen gebracht. In den Fünfzigerjahren begann eine langsame Aufwärtsentwicklung, aber die periodische Schwäche des Pfunds hat eine Anknüpfung an die gloriose Zeit vor 1914 unmöglich gemacht.

Dann kamen die Londoner auf die Idee, das Dollargeschäft ausserhalb der USA zu ihrem Geschäftsmodell zu machen, was einen fulminanten Aufstieg auslöste. Seit langem ist London deshalb wieder eines der wichtigsten internationalen Finanzzentren.

Die folgende Tabelle zeigt, wie das Geschäft mit Dollar-Anleihen von 1975 bis 1985 förmlich explodierte. Man nennt sie Eurobonds, weil es sich um Dollar-Anleihen handelt, die nicht in den USA, sondern in Europa emittiert werden. Das Geschäft fand hauptsächlich in London statt.


Eurobonds (in Mio. $) 1975 1980 1985
Total 8743 20’394 135’431
US-Dollar 3379 13’649 96’482
Deutsche Mark 2918 3457 9491
Pfund Sterling  – 975 5766
Yen 10 301 6539
Quelle: OECD, Statistiques financières

 

Frankfurt, Paris und Zürich waren nicht in der Lage, mit London mitzuziehen. Sie hätten durchaus die Möglichkeit gehabt, ins Dollargeschäft einzusteigen, aber sie blieben chancenlos.

Anders gesagt: Es braucht sehr viele Störungen, bis ein Finanzplatz dauerhaft absteigt. Denn es sind nicht nur die Regulierungen und internationalen Vereinbarungen, die zählen, sondern auch Erfahrung, Wissen, Sprache, Netzwerke etc. Diese Tradition lässt sich nicht einfach ersetzen. Frankfurt würde von einem Brexit profitieren, aber es gäbe keine fundamentale Verschiebung.

Interessanterweise hat ausgerechnet die Hessische Landesbank, die ihren Hauptsitz in Frankfurt hat, in ihrer jüngsten Studie vor einer Frankfurter Euphorie gewarnt (Quelle):

«Selbst im Falle eines Brexit, den wir für das Referendum am 23. Juni derzeit mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 % einschätzen, würde London die Nummer eins in Europa bleiben.» (S. 32)

Es wird dann einschränkend eingeräumt, dass vieles von den Austrittsmodalitäten abhänge. Aber wie die Studie richtigerweise erwähnt, kann der Brexit nicht nur negative, sondern auch positive Effekte haben. So könnte die EU London zwar bestrafen, aber dafür hat Grossbritannien freie Hand bei der Regulierung des Finanzplatzes.

Die Bedeutung der Tradition ist im Übrigen auch ein Argument, warum der Finanzplatz Schweiz nach dem Wegfall des Bankgeheimnisses nicht verschwinden wird. Natürlich wird es Einbussen geben – die Margen sinken bereits. Aber die Kombination von stabiler Währung, Rechtssicherheit und Zuverlässigkeit wird attraktiv bleiben.

Der Beitrag Wird Frankfurt vom Brexit profitieren? erschien zuerst auf Never Mind the Markets.


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