Seit Jahren beobachten wir dasselbe Ritual, wenn es um die Geldpolitik der EZB geht. Es besteht aus drei Teilen:
- Die EZB sagt, sie könne nicht alle Probleme lösen. Die Politik müsse ihre Hausaufgaben machen.
- Die Politik macht ein bisschen etwas, löst aber kein Problem und spielt den Ball sofort wieder an die EZB zurück.
- Weil die Politik zu wenig tut, fühlt sich die EZB verpflichtet, die Schleusen noch mehr zu öffnen. Natürlich versichert sie jedes Mal der Öffentlichkeit, sie könne nicht alle Probleme lösen (zurück zu Schritt 1).
Anders gesagt: Die EZB ist die ewige Verliererin eines langjährigen Schwarzpeterspiels. Sie würde sich gerne ihrer schweren Bürde entziehen, aber sie kann nicht, weil die Politik sie im Stich lässt. Schlimmer noch: Wenn sie nichts tut, ist sie schuld am Zusammenbruch des Euro. Die obige Karikatur bringt das Dilemma ziemlich gut auf den Punkt.
Trotzdem stellt sich die Frage: Warum wehrt sich die EZB nicht?
Sie mag ja unter politischem Druck stehen, aber mit ihrer Politik schürt sie Erwartungen, die sie immer weniger erfüllen kann. Zudem nimmt sie grosse Flurschäden in Kauf, die ihren Ruf schädigen. Ihre Politik setzt falsche wirtschaftspolitische Anreize, bestraft die Sparer, bringt das ganze Währungssystem durcheinander.
In solchen Situationen lohnt sich immer der Blick zurück. Wie war es früher? Zwei Extrembeispiele kann man als Diskussionsgrundlage heranziehen.
Das erste Beispiel ist Deutschland im Sommer 1931: Damals weigerte sich die Zentralbank, der Politik zu Hilfe zu eilen. Das Bankensystem war am Kollabieren, worauf die deutsche Regierung die Zentralbank bat, die Liquidität zu erhöhen. Die Antwort der Reichsbank konnte nur lauten: Das dürfen wir nicht, weil wir sonst die Währungsstabilität (Goldstandard) gefährden würden. Daraufhin brach das deutsche Bankensystem zusammen, weil die Regierung kein Konzept zur Stützung der Banken hatte.
Das andere Beispiel stammt aus den späten 1970er-Jahren. Damals machte sich der neu gewählte Chairman des Federal Reserve, Paul Volcker, daran, die Inflationsrate auf ein vernünftiges Mass zu drücken. Sie betrug Ende der 1970er-Jahre mehr als zehn Prozent.
Seine Medizin war bitter. Er erhöhte die Zinsen auf 17,5 Prozent und nach einer vorübergehenden Senkung sogar auf fast zwanzig Prozent (blaue Linie). Die zweite Erhöhung war notwendig, weil der erste Schock offenbar nicht ausreichend war. Die Inflationserwartungen konnten erst nach dem zweiten Zinsschock geändert werden. Die Arbeitslosenrate stieg natürlich sofort – von etwa sechs Prozent auf mehr als zehn Prozent. Man sprach deshalb von der «Volcker Recession».
Noch während die Arbeitslosenrate mit grossem Tempo Richtung zehn Prozent kletterte, begann Volcker die Zinsen zu senken. Ab Mitte der 1980er-Jahre ging die Arbeitslosigkeit wieder auf das alte Niveau zurück – mit dem Unterschied, dass jetzt auch die Inflation unter Kontrolle gebracht werden konnte.
Die Aktion löste enorme Kritik aus. Der Vorwurf lautete, er habe allzu rigoros die Inflation bekämpft. Besonders laut war die Kritik in den lateinamerikanischen Ländern, die grosse Dollarschulden hatten und wegen des Zinsschocks in eine Schuldenkrise gerieten. Volcker liess sich nicht beeindrucken. Heute gilt er als einer der besten Chairmen in der Geschichte des Fed.
Welches Beispiel passt besser zur heutigen Situation? Vermutlich keines. Aber man kann durchaus Lehren aus ihnen ziehen.
Die Reichsbank konnte sich 1931 auf die Regeln des Goldstandards berufen. Das musste die Regierung respektieren. Ein solches institutionelles Bollwerk hat die EZB nicht im Rücken. Man muss aber auch die Fortsetzung der Geschichte von 1931 erzählen. Zwei Tage nach der Bankenkrise führte die Regierung Kapitalverkehrskontrollen ein. Der Goldstandard galt nicht mehr, bald darauf wurde die Zentralbank entmachtet.
Moral der Geschichte: Wenn die Zentralbank sich in der Krise weigert zu kooperieren, wird sie bald mit brachialen Mitteln entmachtet.
Der Vergleich mit Volckers Geldpolitik hinkt, weil die Problemstellung eine andere ist. Die Reduktion der Inflation ist einfacher, als eine defekte Währungsunion über Wasser zu halten. Es gibt eine klare Exit-Option: Wenn die Inflation besiegt ist, kann die Zentralbank die Zinsen wieder senken. Die EZB hat keine erkennbare Exit-Option. Sie kann mit ihrer Politik kein Problem lösen, also wird sie expansiv bleiben, so lange, wie sie will.
So sieht es immer mehr nach einem japanischen Szenario aus: jahrelang tiefe oder sogar negative Zinsen, wenig Wachstum, tiefe Inflationsraten und eine allmähliche Übertragung der Staatsschulden auf die Zentralbankbilanz. Der Schwarze Peter bleibt wohl noch lange in den Händen der EZB.
Der Beitrag Wer hat am Schluss den Schwarzen Peter? erschien zuerst auf Never Mind the Markets.