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Channel: Tobias Straumann – Never Mind the Markets
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Die Harmonisierungsfalle

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Sie verhinderte die Einführung von Basel II in den USA – zu recht: Sheila Bair, während der Finanzkrise Chefin der US-Einlageversicherung. Foto: Mike Blake (Reuters)

Sie verhinderte die Einführung von Basel II in den USA – zu Recht: Sheila Bair, während der Finanzkrise Chefin der US-Einlageversicherung. Foto: Mike Blake (Reuters)

Seit etwa zwanzig Jahren ist es Mode, möglichst viel zu harmonisieren. Statt Kooperation und gegenseitige Anerkennung von Standards will man, dass die Regeln möglichst überall dieselben sind. Das Argument ist, dass nur auf diese Weise Durchlässigkeit und fairer Wettbewerb möglich sind.

In der Bildung kann man beobachten, wie teuer und endlos diese Bemühungen sind. Die Bologna-Reform an den Universitäten hat enorme Summen gekostet und die Verwaltungsausgaben markant erhöht. Gleichzeitig ist die europäische Harmonisierung schnell an ihre Grenzen gestossen. Eine Schweizer Matur ist nicht dasselbe wie ein Abitur in Nordrhein-Westfalen. Wenn man wirklich harmonisieren will, müsste man das ganze Schulsystem harmonisieren. Eben: Es ist endlos.

Nun kann man sagen, dass Bologna trotzdem irgendwie funktioniert. Es mag teuer sein, aber die Freiheit im Hörsaal ist immer noch so gross, dass die Harmonisierung letztlich sekundär ist. Nützt es nichts, so schadet es wenigstens nichts.

Von der Marktrealität überholt

Es gibt aber Bereiche, wo die Harmonisierung weit weniger harmlos ist, z.B. bei der internationalen Bankenregulierung. Das Abkommen Basel II ist ein wesentlicher Grund, warum die europäischen Banken so stark von der amerikanischen Immobilienkrise betroffen waren. Ihre Eigenkapitalvorschriften waren zu wenig an die Marktrealität angepasst. Genauer: Die Risikobewertung der verbrieften Hypothekenpapiere war zu wenig vorsichtig. Kreditrisiken wurden zu wenig sorgfältig in Marktrisiken umgerechnet.

Nun gab es durchaus kritische Stimmen, aber sie konnten sich nicht durchsetzen, weil internationale Harmonisierungsbestrebungen sehr schwerfällig sind. Ist einmal etwas beschlossen, und sei es noch so unsinnig, gelingt es fast nicht mehr, den Kurs zu ändern. Es ist wie eine Falle.

Sheila Bair, die während der Finanzkrise Chefin der US-Einlageversicherung (FDIC) war und an den Sitzungen des Basler Ausschusses teilnahm, beschreibt diesen Mechanismus beispielhaft in ihren Memoiren. An ihrer ersten Sitzung im Oktober 2006 forderte sie eine Leverage Ratio (Verschuldungsquote), die im Basel-II-Abkommen nicht vorgesehen war.

Von wegen «amerikanischer Arroganz»

Denn Basel II operierte mit sogenannten risikogewichteten Aktiva, d.h. je nach Kategorie musste die Bank unterschiedlich viel Kapital halten. Die Leverage Ratio bezieht sich auf die ungewichtete Totalsumme der Aktiva, macht also keinen Unterschied in Bezug auf die verschiedenen Kategorien von Krediten, Obligationen, Aktien und anderen Wertpapieren.

Die Reaktion der Europäer am Treffen im Oktober 2006 war heftig. Was ihr eigentlich einfalle, kritisierte die Chefin der französischen Bankenaufsicht. Man habe jahrelang verhandelt, und nun wolle Bair das Abkommen einfach so unterminieren?

Der EU-Vertreter war noch deutlicher. Er wertete Bairs Einwände als typischen Ausdruck von amerikanischer Arroganz. Auch der deutsche Vertreter stiess in dieses Horn. Der allgemeine Tenor war: Die Leverage Ratio ist völlig veraltet und kontraproduktiv, weil sie die ungewichtete Bilanzsumme verwendet. Das schaffe nur Fehlanreize für das Bankensystem.

Kurz darauf erschien im «Economist» ein Artikel, der Bair noch einmal heftig kritisierte. Bezeichnenderweise begann der Text mit dem genau gleichen Argument, das die französische Vertreterin schon geäussert hatte:

For the world’s bankers, it has been the equivalent of seven years‘ hard labour: since 1999 banks have been cajoled, at some cost to themselves, toward a new regulatory regime that will affect the all-important cushion of capital they hold to prevent a run on deposits.

Bair blieb stur und verhinderte die Einführung von Basel II in den USA (ausser für die im Ausland tätigen Banken). Damit verhinderte sie zwar nicht die Finanzkrise, aber sorgte immerhin dafür, dass die Finanzkrise nicht noch schlimmer wurde. Die inländischen US-Banken hatten mehr Kapitalpuffer ohne Basel II, als sie mit Basel II gehabt hätten.

Und vor allem: Heute ist die Leverage Ratio Teil von Basel III. Bair hat auf der ganzen Linie recht bekommen.

Kein Platz für Selbstkritik

Damit sind wir wieder beim Ausgangspunkt: Harmonisierung ist so aufwendig, dass die Gefahr von gravierenden Fehlern gross ist. Wer schon jahrelang verhandelt hat, ist nicht bereit, Selbstkritik zu üben. Bair hat es in ihren Memoiren treffend auf den Punkt gebracht:

Looking back, I think a major obstacle to international regulations‘ acknowledging the problems with Basel II was that they had spent so much time on it that they did not want to admit they had made a mistake and all those years of effort had been a waste.

Der Beitrag Die Harmonisierungsfalle erschien zuerst auf Never Mind the Markets.


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